Im Kinderdorf leben die Kinder wie in einer Familie

50 Jahre Kinderdorf Silz

In diesem Jahr feiert das Kinder- und Jugenddorf Maria Regina, das idyllisch in einem kleinen Tal am Rande von Silz im südlichen Pfälzer-Wald liegt, das 50-jährige Bestehen. Fast 600 Kinder und Jugendliche wurden seit der Eröffnung im Kinderdorf betreut.

Weitläufigkeit, Grün, Kinderstimmen, ein riesengroßer Spielplatz und an der Einfahrt eine Weide auf der friedlich mehrere Pferde und ein Pony grasen, das ist der erste Eindruck, der sich beim Besuch der Jugendhilfeeinrichtung bietet. Es ist Mittagszeit und die Kinder und Jugendlichen kommen gerade zurück, aus verschiedenen Schulen in der Region und dem Kindergarten. Zielgerichtet machen sie sich auf den Weg zu ihren Häusern. Immer wieder erklingt ein fröhlicher Gruß.

Mädchen streichelt Pony im Kinderdorf
Das Kinderdorf hat eigene Pferde und Ponys
Kinderdorf bietet Schutz und Heimat

Insgesamt 72 Plätze gibt es direkt im Kinderdorf, weitere neun in der Außengruppe in Landau für Jugendliche in der Verselbständigung. Das hier Kinder leben und ihre Heimat haben, wird überall spürbar. Eindrucksvolle Fotos an den Wänden im Hauptgebäude zeigen Momente aus Urlaubsfahrten, Freizeiten oder sind im Rahmen der vielfältigen erlebnispädagogischen Angebote entstanden.

„Wir bieten von Not und Krisen betroffenen Kindern und Jugendlichen sowie ihren Familien für den für sie notwendigen Zeitraum Schutz, Hilfe und Unterstützung in allen Belangen des gemeinsamen Lebens“, beschreibt Michael Eberhart anschaulich den Auftrag der Einrichtung.

Er leitet das Kinder- und Jugenddorf seit 2005. Dabei geht der Blick immer wieder aus dem Fenster auf das Geschehen auf dem großen Spielplatz und die großzügigen Kinderdorfhäuser. „Die pädagogische Ausrichtung hat sich geändert“, erklärt der Diplom-Sozialarbeiter und Diplom-Sozialwirt den Wandel in den letzten Jahren. Grundlage der gelebten modernen Kinder- und Jugenderziehung ist die konsequente Umsetzung der Neuerungen im SGB 8. Familienanaloge Wohngruppen sind Gemeinschaften, die für die persönliche Entfaltung der Kinder und Jugendlichen wichtig sind. Sie werden umfassend auf ein Leben in der Gesellschaft vorbereitet. Eberhart wird unterstützt von drei Erziehungsleitungen und einem Team von insgesamt 86 Mitarbeitenden.

Ordensfrauen berichten

Spannend ist auch das Gespräch mit den neun Ordensfrauen, die noch im Kinderdorf leben. Sie haben ein Album, Fotos und viele Erinnerungen dabei. Und sie haben Geschichten in Hülle und Fülle zu erzählen. Immer wieder springt das Gespräch von Ereignis zu Ereignis. Die Wurzeln der Einrichtung gehen weit über die 50 Jahre hinaus, die jetzt gefeiert werden. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts gründete Pfarrer Ludwig Karbeck in Silz ein eigenes Waisen- und Armenhaus für das Gossersweiler Tal. Damit wollte er die große Not der Bevölkerung und vor allem der Kinder lindern. Die Betreuung übernahmen Franziskanerinnen. Durch Anbauten und Zukäufe war es möglich 100 bis 110 Kinder aufzunehmen, ist der Chronik zu entnehmen. Durch den plötzlichen Tod des Seelsorgers 1863 ging das Werk zurück und wurde 1879 ganz aufgegeben. Gelände und Häuser mussten versteigert werden.

Der Nachkomme des Ersteigerers Bernhard Neufeld bestimmte in seinem Testament, das Häuser und Grund wieder einem caritativen Zweck zugeführt werden sollten. So wurde das Erbe an das Institut der Armen Schulschwestern in Speyer übertragen. Damalige Auflage war es, ein Kinderheim zu errichten.

Erst Kinderheim – dann Kinderdorf

1957 konnten 25 Kinder aus dem St. Annastift in Ludwigshafen in das wiedereröffnete Kinderheim nach Silz ziehen. Daran kann sich Schwester Vigilata, die in der Gemeinschaft im Kinderdorf wohnt, noch gut erinnern. Sie war mit sieben Kindern eine der Ersten. Schon bald zeigte sich, dass das Angebot nicht ausreichte. Denn die kleine Einrichtung war nur für Kinder zwischen zwei und sechs Jahren angelegt, berichtet sie.

„Wenn sie in die Schule kamen, mussten sie wieder weg“, schildert die Ordensfrau.

Das war schlimm für alle Beteiligten und führte oft zu „dramatischen Szenen“. Dann wenn vertraute Bezugspersonen oder Geschwisterkinder getrennt wurden. Entgegen der damals noch üblichen Konzepte der Heimerziehung, mit nach Geschlechtern getrennten Altersgruppen, griffen die Dominikanerinnen die moderne Kinderdorfidee auf.

Bereits 1967 wurden die ersten drei Kinderdorfhäuser eingeweiht. Diese konnten dank der Unterstützung zahlreicher Spender und Helfer erbaut werden. Es waren abgeschlossene Wohneinheiten, die familiennahe Strukturen ermöglichten. In diesen konnten auch Geschwister zusammen mit einer festen Bezugsperson aufwachsen. In einem zweiten Bauabschnitt entstanden dann weitere drei Häuser. Paula Beyer spendete das siebte Haus in dem über viele Jahre Konvent, Kapelle, Verwaltung und später auch eine Gruppe untergebracht waren. Große Attraktion war ein Fernseher. „Wie die Orgelpfeifen“ saßen die Kinder am Sonntag auf der Treppe und verfolgten das Programm.

Die Finanzierung der Versorgung der Kinder war schwierig – oft fehlte es am Nötigsten. Die Familien der Ordensfrauen unterstützten mit Lebensmitteln. Auch eigene Gärten wurden bewirtschaftet. Als Schwester Borromäa Schwab 1974 die Leitung übernahm, waren 54 Kinder im Kinderdorf untergebracht und der Pflegesatz betrug 15 Mark, schildert sie. Das Geld reichte nicht aus. Ein großer Schritt war deshalb die Verhandlung eines neuen Pflegesatzes.

Hilfe gab es zuerst durch Hauswirtschaftskräfte, später Praktikanten und pädagogische Mitarbeiter. Einige arbeiten jetzt schon 35 Jahre und länger in „ihrem Kinderdorf“. „Liebe alleine genügte nicht“, begründen die Schwestern, die vorher die Kinder alleine versorgt hatten. Das dreiteilige Gemeinschaftshaus mit Kapelle, Verwaltung, Aula, Turnhalle, sowie Spiel- und Werkräumen wurde 1977 in Betrieb genommen und im Folgejahr feierlich eingeweiht. Das Kinderdorf bekam dabei den aktuellen Namen „Maria Regina“.

Viele Möglichkeiten isch zu erleben
Das große Gelände im Kinderdorf dient als Spielplatz
Trägerwechsel, Modernisierung, Neuausrichtung

2003 begannen mit dem Trägerwechsel die umfassenden Umbaumaßnahmen der Häuser. Diese war verbunden mit einer konzeptionellen Neuausrichtung der Wohngruppen. Jeweils fünf Erzieher und zwei Hauswirtschaftskräfte übernahmen im Team die Betreuung. Der gruppenergänzende Bereich (GEB) unterstützt mit vielfältigen Aktivitäten der Freizeit-, Erlebnis- und Musikpädagogik sowie dem reitpädagogischen Angebot die Wohngruppen. Ein eigener psychologischer Fachdienst integriert psychologische und psychotherapeutische Leistungen. Bei der permanenten Weiterentwicklung bilden auch ambulante Angebote, wie Betreutes Wohnen, Erziehungsbeistandschaft und sozialpädagogische Familienhilfe neue Schwerpunkte. Ein großer Schritt war auch der Neubau der Außengruppe in Landau im Jahr 2013. Herausforderungen der Zukunft sind die anstehende Sanierung des Haupthauses und ein Generationswechsel bei den Erziehern.

„50 Jahre Arbeit für und mit Kindern und Jugendlichen haben uns einen Schatz an Erfahrungen geschenkt. Dieser wird vertieft durch fortwährende Beratung und neueste wissenschaftliche Erkenntnisse“, so die Verantwortlichen.

„Viele Menschen in unterschiedlichsten Tätigkeitsbereichen haben sich mit großem Engagement und Begeisterung für unsere Kinder und Jugendlichen eingesetzt.“

Das Jubiläum wurde 2017 unter dem Motto „Starke Wurzeln – starke Kinder – starke Zukunft“ gefeiert. Ein großer Wunsch, die Verwirklichung eines bespielbaren Wasserlaufes auf dem Spielplatz, wo sich vorher ein kleiner Kanal befand, konnte bereits umgesetzt werden.


Hinweis der Autorin

Der Text ist im Rahmen meiner hauptamtlichen Tätigkeit entstanden. Er ist im SPIRIT, dem Mitarbeiterjournal der St. Dominikus Krankenhaus und Jugendhilfe gGmbH, und in Auszügen in verschiedenen regionalen Medien erschienen.

Mehr zum Kinderdorf auf der Homepage der Einrichtung.